UK Steuern & Recht

Damoklesschwert Scheinselbständigkeit:
Fluch und Segen

Die jüngste Verschärfung der IR35 Regelung des HMRC trifft Briten - Freelancer und deren Auftraggeber – besonders hart. Für Selbständige von außerhalb öffnen sich vielleicht Türen für neue Aufträge.

Neues Knebel-Gesetz im United Kingdom

Steuern, Abgaben und Versicherungen sind nicht nur für Unternehmer, Freiberufler und Selbständige inzwischen undurchschaubar, das Dickicht wird sogar immer undurchsichtiger. Vor allem, wenn Aufträge im europäischen Ausland hinzukommen, was inzwischen eher die Regel als die Ausnahme ist, werden unterschiedliche Gesetzgebungen, Doppelbesteuerungsabkommen und Umsatzsteuern ohne sachkundige Hilfe zu einer beinahe unüberwindbaren Hürde. Mit dem Austritt des Vereinigten Königreiches aus der Europäischen Union tut sich jedoch ein neuer Graben auf: England gilt somit als Drittland – es macht somit rechtlich keinen Unterschied mehr, ob Sie einen Auftrag in London oder in Liberia haben.

Die grenzüberschreitende Selbständigkeit kann von der Politik nicht mehr länger ignoriert werden. Der liberale Publizist Thomas Sattelberger stellte dazu im Handelsblatt treffend fest:

„An die vier Millionen Selbständige und Freelancer bilden den Humus für Unternehmertum hierzulande. Leider bedroht der Staat immer mehr von ihnen mit dem Damoklesschwert der Scheinselbständigkeit. Dabei brauchen wir so dringend eine neue Kultur der Selbständigkeit! Mit Schutz und Absicherung für prekär Selbständige. Und mit klaren Positivkriterien, die gut verdienenden Freelancern und ihren Kunden Rechtssicherheit und freie Wahl bei sozialer Sicherung bieten. Digitale Arbeit lebt zudem von Souveränität über Arbeitszeit und -ort; Arbeitsstättenverordnung und Arbeitszeitgesetz gehören auf den Prüfstand.“

In England ist die Diskussion um die Scheinselbständigkeit neu entfacht, was sich übrigens auch in der unterbrochenen Lieferkette zeigt. Nicht Corona ist schuld an leeren Supermärkten, sondern die Einführung eines neuen Gesetzes in der UK, das den Auftraggeber zur Abführung von Sozialabgaben verpflichtet oder aber den Auftragnehmer selbst. Das führte letztlich dazu, dass viele der überwiegend osteuropäischen Trucker sich schlichtweg weigerten, nach England zu fahren.

Die Gleichstellung von Rechtsanwalt und Pizzabote

Im UK verdient etwa die Hälfte der Selbständigen weniger als den Mindestlohn, was allerdings daran liegt, dass Zusteller, Kurierfahrer oder andere geringqualifizierte Tätigkeiten häufig als Selbständige geführt werden. Mit einem selbständigen Ingenieur, Programmierer, Texter oder Anwalt kann man einen Pizzaboten aber wohl kaum vergleichen. Dennoch tut man es.

Binnen eines Jahres hat die britische Regierung die Beziehung zwischen Auftraggebern und Auftragnehmern neu definiert. Die neue IR35-Gesetzgebung verlangt, dass der Kunde, der einen Freiberufler beschäftigt, nun für die korrekte Abführung von Steuern und Sozialabgaben verantwortlich ist. Bisher ist das logischerweise der jeweilige Freelancer gewesen, denn der kann – oder muss sogar – mehrere Auftraggeber unterschiedlichen Volumens haben. IR35 ist eine zusätzliche Gesetzgebung, die es dem HMRC, dem britischen Finanzamt ermöglicht, bei vermeintlicher Scheinselbständigkeit zusätzliche Zahlungen zu verlangen.

Für Briten eine neue Bürde …

Im Folge dessen wollen große Unternehmen dann lieber doch keine Freelancer mehr beschäftigen. Gleichzeitig hat aber die britische Regierung keine Handhabe gegen ausländische Unternehmen.  Ein Freelancer, der beispielsweise über eine amerikanische LLC oder eine deutschen UG arbeitet, kann sehr wohl für britische Kunden tätig werden, weil dessen Firmen wiederum nicht der britischen Gesetzgebung unterliegen. Allein der britische Freelancer schaut nun in die Röhre, denn in der Vergangenheit haben viele Freiberufler im UK eine Limited gegründet, um einerseits Zahlungen von Kunden entgegenzunehmen und andererseits Steuern zu sparen. Diese Handlungsfähigkeit als eigene Rechtsidentität wird aber wegfallen, wenn das HMRC diese Freelancer aufgrund des IR35 als eigentlich angestellte Arbeitnehmer klassifiziert. IR35 gilt aber ausdrücklich nur im Inland – ein Brite, der ins Ausland verzieht oder ein Ausländer im ausländischen Homeoffice kann sehr wohl auch britische Kunden bedienen. Nur der Brite eben nicht.

Wenngleich es IR35 bereits seit über zwanzig Jahren gibt, so ist es bisher kunstvoll umgangen worden, indem etwa Firmen gegründet wurden, um freiberufliche Arbeit als B2B verrechnen zu können. Das war möglich, weil das gesamte Gesetz bis zur jüngsten Verschärfung insgesamt relativ zahnlos war. Freiberufler, die als solche eingestuft werden, gelten jetzt als Arbeitnehmer und müssen daher den gleichen Steuersatz zahlen wie ein Arbeitnehmer in der gleichen Steuerklasse. Unternehmen, die mit Freelancern arbeiten, müssen genau die Steuern und Sozialabgaben für deren Tätigkeit und Entlohnung zahlen, als wenn ihr Auftragnehmer einer ihrer Angestellten wäre. Der Auftragnehmer gilt aber trotzdem nicht als Arbeitnehmer und hat daher weiterhin weder Anspruch auf Arbeitslosengeld, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall noch auf bezahlten Urlaub. Auch Verträge mit ausländischen Auftraggebern sind ausdrücklich nicht betroffen. Wenn ein Brite also für einen deutschen Auftraggeber arbeitet, betrifft ihn dieser IR35 glücklicherweise nicht.

…für ausländische Freelancer eine große Chance!

Aber: Wenn Sie als deutscher, amerikanischer oder dauerreisender Freiberufler für ein britisches Unternehmen tätig werden, greift das IR35 nicht, weil das HMRC für Sie gar nicht zuständig ist. Auch, wenn Sie Ihre Rechnungen über eine GmbH, eine LLC oder eine ausländische Limited stellen, unterliegen sie nicht dem Einzugsbereich des HMRC und können daher gefahrlos auch für britische Unternehmen tätig werden.

Selbst wenn britische Freiberufler damit drastisch benachteiligt werden, öffnet das IR35 für andere europäische oder internationale Freelancer immense Chancen. Mittelfristig werden britische Unternehmen lieber gefahrlos auf Sie zurückgreifen, bevor sie einheimische Auftragnehmer beschäftigen und dafür in eine Steuerfalle tappen. Des einen Leid ist wie so oft des anderen Freud‘.